George Jones, Commercial Design Concepts, Großbritannien
Das Volumen an Bauvorhaben zur Konstruktion von Hochbauten hat in den letzten Jahren weltweit kontinuierlich zugenommen. Die Unterschiede in der Nutzung solcher Gebäude sind bemerkenswert, von großzügigen Hotels und Apartments bis hin zum sozialen Wohnungsbau. Da die Welt mit einer wachsenden Bevölkerungszahl, schwindenden Ressourcen und dem Zuzug aus ländlichen Gebieten in Ballungszentren konfrontiert ist, werden die Bevölkerungsdichten in den Städten unweigerlich weiter zunehmen, was eine effizientere Nutzung des knappen Baulandes und anderer Ressourcen erfordert. Höhere Gebäude sind die unvermeidliche Folge. Für die Tragwerke und die architektonischen Hüllen von Hochbauten können verschiedene Arten von Baumaterialien verwendet werden. Diese Baumaterialien werden kombiniert, um entsprechend der Anforderungen des Kunden optimale Lösungen für das Gebäude zu entwickeln, wobei Nutzung, Vision, Erschwinglichkeit, Timing, Nachhaltigkeit und Qualität berücksichtigt werden. Betonfertigteile repräsentieren eines dieser Baumaterialien und können für die komplette Konstruktion von Tragwerken und Fassaden, sowie in Kombination mit Stahlbauteilen und Ortbeton verwendet werden.
Angesichts ihrer Beliebtheit in der modernen Bauindustrie wurden mehrere Richtlinien zu dem Entwurf hoher Gebäude in Stahlbeton- oder Stahlbauweise geschrieben. In der fib Kommission 6 für Betonfertigteile war man jedoch der Auffassung, dass für die Verwendung von Betonfertigteilen in Hochhäusern kein aktuelles Leitwerk zur Verfügung stand, das die modernen Anwendungen von Betonfertigteilen im Hochbau in einem einzigen Dokument zusammenfasst. Die Task Group 6.7 wurde daher eingesetzt, um sich mit diesem Thema zu befassen und einen „State of the Art Report“ (einen Bericht zum Stand der Technik) zu erstellen. Dieser Bericht konzentriert sich auf die Integration von Betonfertigteilen in die Planung und Konstruktion von hohen Gebäuden und zielt darauf ab, das Interesse der Industrie zu wecken sowie Fachleute und alle am Hochbau beteiligten Parteien durch ein einziges Leitwerk zu beeinflussen, ohne dabei im Inhalt übermäßig theoretisch zu sein. Wir freuen uns auch über die enge Zusammenarbeit mit PCI (Precast Concrete Institute, USA) während des gesamten Redaktionsprozesses und darüber, dass das Bulletin sowohl von fib als auch von PCI veröffentlicht wird.
Bulletin 101 ist in vier Teile unterteilt. Die ersten vier Kapitel führen den Leser in die Vorteile ein, die sich mit Betonfertigteilen erzielen lassen und zeigt auf, wie diese als einzelne Bauteile entweder in Kombination mit anderen Bauformen oder als komplettes Fertigteilsystem in jedes Gebäude integriert werden können. Schächte, Treppen- und Versorgungskerne, Trennwände, Bodenplatten und Fassaden – sie alle sind Teile eines jeden funktionierenden Hochhauses und können mit Betonfertigteilen konstruiert werden, wobei auch der gesamte Tragwerksrahmen aus Fertigteilen bestehen kann.
Zu den Vorteilen, die durch die Verwendung von Betonfertigteilen im Hochhausbau zusätzlich zu denen durch die Verwendung von traditionellem Ortbeton erzielt werden können, gehören:
- Produktionszuverlässigkeit jenseits der Baustelle.
- Höhere Betonfestigkeiten und fortschrittlichere Materialien.
- Die Fähigkeit, Komponenten unabhängig vom Baufortschritt zu produzieren und für den zeitlichen Einbau bereit zu halten.
- Höhere Konstruktionsgeschwindigkeiten, was zu reduzierten Bauzeiten für die einzelnen Etagen führt (ein im Hochhausbau kritischer Aspekt).
- Sicherheit bezüglich des erwarteten Baufortschritts und der Baukosten (klimatische und logistische Auswirkungen des Standorts werden gemildert).
- Gesicherte und verbesserte Qualität.
- Weniger Unordnung auf der Baustelle.
- Weniger Baustellenpersonal mit daraus resultierenden Vorteilen bezüglich des Arbeitsschutzes.
- Einfache Demontage und Wiederverwendung.
- Verbesserte Leistungsfähigkeit bei Beanspruchung durch Erdbeben.
- Automatisierte Produktionsprozesse mit hoher Genauigkeit und weniger Ausschuss.
- Herstellung von Bauteilen mit komplexer Geometrie unter Werkbedingungen, wodurch der architektonische Entwurf besser in die Tat umgesetzt werden kann.
Kapitel 5-8 des Bulletins behandeln die einzelnen „Bausteine“ der Betonfertigteilbauweise, also Decken, Stützen, Wände und Treppen. Ihre Anwendung im Hochbau wird mit besonderem Augenmerk auf konstruktiven Entwurf und Detaillierung sowie Produktionsmethodik beschrieben. Darauf folgen drei Kapitel zu besonderen Themenschwerpunkten. Dies sind Gebäudefassaden, Fertigteile in seismischen Zonen und das Bauen selbst.
Das Bulletin schließt mit zahlreichen Fallstudien. Die Autoren wollten insbesondere Fallstudien aus möglichst vielen verschiedenen Regionen heranziehen, und wir glauben, dass dies mit Beispielen aus Europa, Nord- und Südamerika, Australien, Japan, dem Nahen Osten und China durchaus erreicht wurde. Beispiele für Fallstudien, die die Anwendung und den Nutzen von Betonfertigteilen veranschaulichen, werden im Folgenden vorgestellt.
Breaker Tower, Bahrain – vollständig vorgefertigter Tragwerksrahmen
Dieses Bauwerk hat ein komplettes Betonfertigteilgerüst aus Wandplatten, Stützen, Balken und Hohlplatten. Das Gebäude hat 35 Stockwerke, ist 165 m hoch und umschließt zwei Gebäudehüllen. Die zu dem Hochbau gehörende Hülle hat die Form eines vertikalen „Zylinderschlosses“. Die Apartments erstrecken sich über 28 Stockwerke und befinden sich im Bereich des runden Grundrisses des Hochhauses. Jedes Geschoss hat eine freie Höhe von 4,2 m und bietet einen außergewöhnlichen Blick auf die Umgebung. Der rechteckige Teil des Hochhauses fungiert als stabilisierendes „Rückgrat” des Gebäudes und beherbergt die Aufzüge und Treppenkerne. Die niedrige Gebäudehülle hat ein rechteckiges Volumen, in dem das 5-stöckige Parkhaus und ein Ausstellungsraum untergebracht sind.
Die tragenden Stützen sind in der runden Peripherie des Gebäudes positioniert, um Entwurfsfreiheit bei der Platzierung von Trennwänden zu ermöglichen. Die Schubwände an der Rückseite des Gebäudes bilden die seitliche Stabilitätsstruktur. Vertikale Fugen verbinden die einzelnen Schubwände an ihren Schnittpunkten. Die Schubwände wirken zusammen als stabilisierende 3D-Strukturen.
Die Produktion der Fertigteile war dem Montageplan immer mindestens zwei Etagen voraus, so dass alle Fertigteile rechtzeitig verfügbar waren. Der Bauunternehmer führte die Fertigteilmontage mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von 2,5 Stockwerken pro Monat durch, was zu einer Geschosszykluszeit von 13 Tagen führte. Sieben Tage wurden für Positionierung, Einbau und Fugenverdichtung der Fertigteilbalken, Hohlplatten und Treppenflüge aufgewendet. Sechs Tage wurden dann für die Installation der Fertigteilstützen und Schubwände benötigt, die das darauffolgende Stockwerk tragen.
Erasmus Medical Centre, Rotterdam, Niederlande – Eingerahmt von Fertigteilen mit innovativer Bauweise
Das Gebäude hat 35 Stockwerke und ist 120 m hoch. Der Tragwerksrahmen besteht komplett aus Betonfertigteilen. Die Fassade besteht aus architektonischen, gedämmten Sandwichplatten mit einem Gewicht von bis zu 34 Tonnen pro Element, innenliegende Massivwände bilden die Betriebs- und Versorgungsschächte, und die Decken bestehen aus Hohlplatten. Alle Wände sind tragend und gewährleisten zusammen die seitliche Stabilität des Tragwerkes.
Der Baufortschritt kann durch eine Maximierung der Fertigteilgewichte beschleunigt werden. Oft sind es Krankapazitäten und die Anfälligkeit der Baukräne gegenüber starken Winden, die die Geschwindigkeitsvorteile verhindern, die durch den Fertigteilbau erzielt werden können. Im Fall des Erasmus Medical Centre entschied sich der Bauunternehmer, anstelle eines herkömmlichen Turmdrehkrans einen temporären Portalkran für die Handhabung und Montage der Fertigteile zu verwenden. Die Elemente werden eine Etage nach der anderen installiert und der Portalkran nach Fertigstellung des Geschosses auf die nächste Ebene aufgebockt.
Mit dem Portalkran war es möglich, den vertikalen und horizontalen Transport der Fertigteile zu trennen, während sie beim Einsatz eines Turmdrehkrans üblicherweise kombiniert werden. Durch die Aufteilung in vertikalen und horizontalen Transport wurde auf einer Grundfläche von 43 m x 19 m eine anrechenbare Geschosszykluszeit von fünf Tagen erreicht. Darüber hinaus bietet das Dach des Portalkrans Deckung gegenüber Umwelteinflüssen und die damit verbundenen Arbeitsschutz- und Sicherheitsvorteile in einer geschlossenen Arbeitsumgebung. Das Wetter, insbesondere der Wind, hat wenig Einfluss auf den Bauvorgang, und die Konstruktion nichttragender Bauteile kann früher beginnen.
Der Kran wurde anhand eines Portalsystems manövriert und konnte folglich durch das direkte Aufnehmen der Elemente auch Fertigteile mit höheren Eigengewichten heben, als es mit traditionellen Kranen möglich gewesen wäre.
Urban Dock Park City Toyosu, Japan – erdbebensicherer Rahmen aus Betonfertigteilen
Das größere Wohnungsgebäude des Bauwerkes hat 52 Stockwerke und ist 180 m hoch. Es gibt darüber hinaus auch ein zweites Gebäude mit einer Höhe von 32 Stockwerken auf dem gleichen Gelände.
Das Gebäude wurde mit der Sumitomo Mitsui Quick RC Integration Method (SQRIM) entworfen und gebaut. Dieses Verfahren wurde mit dem Ziel entwickelt, alle wesentlichen Tragelemente in der Fertigteilbauweise auszuführen. Das Verfahren nutzt alle Rahmenelemente, um seitliche Kräfte abzuleiten. Das Tragwerk ist mit einer seismischen Dämpfungsvorrichtung ausgestattet. Für einige der tragenden Bauteile wurde Beton mit einer Druckfestigkeit von 120 N/mm² verwendet.
Die Bauzeit betrug 33 Monate, wobei der SQRIM-Geschosstragwerkszyklus bei 3-4 Tagen lag. Es wurden sieben Turmdrehkrane mit einer Tragfähigkeit von jeweils 15 Tonnen aufgestellt. Insgesamt wurden 24.035 Fertigteile verbaut, die in zwölf verschiedenen Fertigteilwerken produziert wurden.
Die Prozentsätze der in Fertigteile umgewandelten Ortbetonelemente waren 100 % für Stützen, 95 % für Balken und 74 % für Deckenplatten. Dies führte dazu, dass der Bedarf an Arbeitskräften für Schalungsarbeiten vor Ort um 95 % und derjenige für die Verlegung der Stahlbewehrung um 97 % reduziert werden konnte.
Premier Tower, Melbourne, Australien – Fertigteil- und Ortbeton-Mischbauweise
Als eines der höchsten und renommiertesten aktuellen Hochbauvorhaben ist dieses Projekt vor allem dafür bekannt, dass der Entwurf durch ein Musikvideo von Beyoncé inspiriert wurde – in dem Video „Ghost” zeigen sich eng in Stoff gehüllte Tänzerinnen. Das Ergebnis ist eine elegante, amorphe Form, entworfen von Elenberg Fraser. Das Gebäude befindet sich auf einem Gelände gegenüber Melbournes Hauptbahnhof, der Southern Cross Station. Nach Fertigstellung wird es voraussichtlich auf einer Höhe von 249 m insgesamt 78 Stockwerke umfassen, die 780 Zwei- bis Dreizimmerwohnungen, 180 Hotelsuiten und eine Reihe von Freizeiteinrichtungen beherbergen.
Melbournes Bauindustrie ist für Beton prädisponiert, wobei vorgefertigte vertikale Elemente (Stützen und Wandplatten), die mit vorgespannten Hohlplatten kombiniert werden, eine übliche Bauweise sind.
Um die Verformungen des Gebäudes aufgrund von Windlast auf ein akzeptables Niveau zu bringen, maximieren vorgefertigte Megastützen an der Fassade die Breite der stabilisierenden Tragwerksstruktur. Diese sind durch zwei- oder dreistöckige Ausleger, die in Trennwänden verankert sind, und sekundäre Ausleger in der mittleren Höhe an den Gebäudekern gebunden.
Die vorgefertigten Megastützen sind so dimensioniert, dass sie sowohl vertikale als auch horizontale Lasten abtragen. Die durch die Windlasten erzeugten Kräfte können ihrer Größe der gesamten Vertikallast der Stützen entsprechen. Aufgrund des Gesamtgewichts der Megastützen arbeiten Fertigteilproduzent und Baustatiker eng zusammen, um eine Fertigteiloption zu schaffen, anhand derer sich die Stützen optimal in die Bauwerksstruktur einfügen lassen und die ein sicheres Anheben der Bauteile mit den Turmdrehkranen der Baustelle ermöglicht.
Das Ergebnis ist eine zusammengesetzte Hohlstütze, die nicht nur über die erforderliche vertikale Traglastkapazität verfügt, sondern auch die Lasten aus den horizontalen Abstützverbindungen des Gebäudes problemlos aufnehmen kann.
Conjunto Paragon, Santa Fe, Mexiko – Architektonische Betonfertigteilfassade
Das Hotel mit seinen 27 Stockwerken befindet sich auf dem höchstgelegenen Gelände eines kürzlich entwickelten Gebiets in Santa Fe und ist damit ein markantes Wahrzeichen in der Gegend. Die Baufassade besteht aus architektonischen Betonfertigteilen, die aus 520 geschwungenen und geradlinigen Elementen bestehen, die sowohl konkav als auch konvex angeordnet sind. Hierbei wurden die massiven Gebäudemaße optisch durch den wellenförmigen Entwurf abgespeckt, der die Fertigteilplatten mit großen Fenstern verbindet, die von innen einen weiten Blick auf die Landschaft bieten.
Das Gebäude hat ein gewundenes, „S”-förmiges Profil, und folglich war die präzise Herstellung der Fertigteilplatten der Schlüssel zur Definition der erforderlichen einzigartigen Formgebung. Durch die hochwertige Produktion in einem Fertigteilwerk wurde die komplizierte Geometrie der Bauteile realisiert, die gebogene Paneele, komplizierte Medaillons, sowie kubisch hervorstehende Formen und Balkone umfassen.
Die Paneele wurden in horizontaler Abfolge um den Gebäudeumfang herum eingebaut. Dies ermöglichte eine frühzeitige phasenweise Fertigstellung des Rohbaus auf jeder Geschossebene und die Freigabe großer Teile der Fassade für die Befestigung von Verglasungen, sowie einen vor Umwelteinflüssen geschützten Arbeitsplatz für den Innenausbau. Die frühe Fertigstellung der Geschossgebäudehüllen bedeutete auch, dass die Hotelbesitzer die Innenräume früh an spezifische Bedürfnisse anpassen konnten.
Der vorherrschende Wind, verschiedene Beschränkungen der Baustelle, die Gebäudehöhe, der wellenförmige Entwurf, die vorspringenden Fenster in den obersten Etagen und der enge Bauzeitplan stellten Herausforderungen dar, die nur mit vorgefertigten Architekturpaneelen bewältigt werden konnten.